Kaum ein Social-Media-Kanal steht derzeit so in der Kritik, wie Facebook. Wie sollte Caritas auf den jüngsten „Datenskandal” reagieren? Roland Knillmann hat sich hierzu Gedanken gemacht – und Argumente für, sowie gegen einen Verbleib unserer Fanpages bei Facebook gefunden.
Der jüngste „Facebook-Skandal“ bringt das Fass für viele Nutzer und werbetreibende Unternehmen zum Überlaufen: Der Missbrauch der Daten von wenigstens 87 Millionen Nutzern treibt viele Facebook-Fans dazu, sich abzumelden, Unternehmen löschen ihre Fanpages – und ganz nebenbei schießt der Kurs der Facebook-Aktie in den Keller (für ein börsennotiertes Unternehmen ist das natürlich DAS entscheidende Kriterium).
Auch in der verbandlichen Caritas müssen wir darüber nachdenken, ob wir weiterhin bei Facebook vertreten sein können und wollen.
Dass die entscheidenden Kritikpunkte an Facebook nicht neu, sondern im Geschäftsmodell grundgelegt sind, ist für die aktuelle Diskussion nicht entscheidend (Martin Herceg hat sie im vergangenen Jahr hier bereits angestoßen und leider wenig Resonanz erhalten). Diese Diskussion ist überfällig.
Aktuelle Positionierungen liegen zwischen „Die Frage stellt sich gar nicht – wir müssen bleiben, denn sonst sind wir raus aus der Wahrnehmung der Menschen“ und der Löschung von Verbands-Auftritten (wie das Diakonische Werk Breisgau-Hochschwarzwald; danke an Hendrik Epe für den Hinweis).
Bleiben, aber nur unter bestimmten Bedingungen
Um es vorwegzunehmen: Ich bin für einen Verbleib bei Facebook, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Das ist keine Bauchentscheidung, sondern eine Abwägung, die sich an unseren Zielen orientiert.
Weshalb sind wir bislang bei Facebook? Die Kommunikationsziele sind in den SocialMedia Guidelines des Deutschen Caritasverbandes (DCV) zu finden:
„Wir wollen so…
1. Menschen direkter und schneller helfen, indem wir unsere Online-Beratung und Dienste vor Ort zugänglich machen,
2. junge Leute mit unseren Ideen, Angeboten und Aktionen in Kontakt bringen,
3. die Vernetzung mit Personen intensivieren, die spenden, stiften oder sich engagieren wollen,
4. durch den Kontakt mit den Menschen und deren Feedback unsere Angebote optimieren,
5. uns mit Positionen und Aktionen in die sozialpolitische Debatte im Netz einbringen,
6. ein Knoten im Netzwerk vieler Menschen sein, die an sozialen Themen interessiert sind und sie als Multiplikatoren der Caritas-Ideen gewinnen.“
Ich ergänze ein weiteres Ziel: 7. Wir wollen Fachkräfte und Auszubildende für unsere Einrichtungen und Dienste gewinnen.
Diese Ziele erreichen wir nicht nur mit organischer Reichweite, also mit der reinen Kraft unserer Beiträge, sondern auch und ausdrücklich mit den Möglichkeiten, die Facebooks Werbemanager bietet. Um es klarer zu sagen: Wir verfolgen unsere Ziele, indem wir facebooks Möglichkeiten der hochdifferenzierten personenbezogenen Datenanalyse nutzen und dafür bezahlen. Anders, und noch schärfer formuliert: Wir nutzen die Möglichkeiten, die wegen ihres massiven Missbrauchs kritisiert werden.
Die Kritik
Wie lautet die Kritik genau? Mir geht es vor allem um die Verletzung der Privatsphäre der Nutzer(innen) und um die mangelnde Transparenz, wie Facebook und seine Partnerunternehmen mit den Daten der Nutzer(innen) umgehen.
Es ergeben sich also mindestens zwei Fragen:
- Können wir überhaupt verbandliche Fanpages auf Facebook betreiben, oder ist das Unternehmen, dessen Geschäftsgrundlage die denkbar umfassenste Weiterverarbeitung individueller Daten ist, per se für uns ein „No Go“?
- Ist es legitim, dass wir Facebooks Targeting-Möglichkeiten buchen, uns also der kritisierten Werkzeuge bedienen?
Zur ersten Frage: Ob Facebook und seine Partnerunternehmen meine privaten Daten nutzen können oder nicht, entscheide ich als Nutzer selber. Wenn ich das nicht will, muss ich mein Profil löschen. Wenn ich mein Profil behalte, kann ich einiges über die Privacy-Einstellungen regeln. Und wenn das nicht reicht, gibt mir ab Ende Mai die Datenschutzgrundverordnung ein mächtiges Werkzeug in die Hand, Facebook in engere Schranken zu weisen. Diese individuellen Entscheidungen muss jede(r) Nutzer(in) selber treffen – sie werden mit dem Löschen einer Caritas-Fanpage kaum beeinflusst. Es geht hier um Medienkompetenz.
Zur zweiten Frage: Etliche Caritas-Präsenzen werden ihre Ziele nicht oder nur ungenügend erreichen, wenn sie die Targeting-Tools nicht nutzen.
Damit öffnet sich ein Dilemma – das vielleicht ethisch sauber und pragmatisch lösbar ist, ohne einer „Hopp oder Topp“-Logik zu folgen .
In der internen Einführung zu den SoMe-Guidelines des DCV finden sich drei weitere Ziele, die bei der Lösung dieses Problems weiterhelfen können: „Partizipation, Teilhabe und Transparenz“ (zum Download)
Ein Lösungsvorschlag
- Wir schaffen Transparenz, indem wir unsere Anzeigen zukünftig deutlich als solche kennzeichnen. Facebook markiert Anzeigen als „Gesponsert“. Das reicht nicht. Wir fügen in unsere gesponserten Beiträge zukünftig einen Hinweis ein, der ihn deutlich als Werbung erkennbar sein lässt.
- Zudem stärken wir die Medienkompetenz unserer (Werbe-)Zielgruppen, indem wir offensiv und gesponsert (!) Beiträge veröffentlichen, in denen wir die Privacy-Einstellungen erläutern, das Geschäftsmodell von Facebook kritisch beleuchten usw. – also die Möglichkeiten zu einer erweiterten Partizipation schaffen (dass das Ganze nicht belehrend oder besserwisserisch daherkommen darf und den Zielgruppen und der Plattform entsprechend aufgebaut sein muss, versteht sich von selbst).
Anders gesagt: Wir nutzen die kritisierten Möglichkeiten von Facebook, um die Kritik zu befördern und Nutzer(innen) zu einer intensiveren Auseinandersetzung anzuregen.
Unter diesen Voraussetzungen halte ich Caritas-Präsenzen auf Facebook weiterhin für vertretbar. Am Rande bemerkt: Dass es viele andere Kritikpunkte gegenüber Facebook gibt, ist mir – sie würden den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Ich bin auf die Diskussion gespannt!
Roland Knillmann – Der Autor ist Pressesprecher für den Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.
Sorry Roland, aber am Ende des Tages bleibt bei all den Bemühungen nach Transparenz und Medienkompetenz (die ich für richtig und wichtig erachte) eine Abhängigkeit von einem Player, der mit den Daten der Menschen Geld macht. Dieses Geschäftsmodell wird Facebook nicht von selbst beerdigen, weshalb wir als Anbieter von Inhalten auf dieser Plattform immer mit einem unangenehmen Gefühl agieren werden.
Ja, wir machen uns die Hände schmutzig, wenn wir nicht konsequent den “Delete”-Button nutzen. Siehe die Schlagzeile “Die Bundesregierung finanziert indirekt Facebook” – tun wir doch auch, wenn wir Werbung schalten. Aktuell erscheint mir das aber “alternativlos”, denn wir müssen dort hin, wo die Leute sind (alte Sozialarbeiterweisheit) und wir haben auch den Druck, dort aufzutauchen, wo die Konkurrenz ist. Das ist dann wohl das, was man Dilemma nennt. Umso wichtiger ist es, dass sich Caritas mit anderen zusammentut und den Druck auf Facebook und Co erhöht, mit den Daten der User transparenter und verantwortungsvoller umzugehen.