Serie: Caritas und der Digitale Wandel – Teil 2

Teil 2: Caritas ist als Dienstleisterin gefragt

Der Digitale Wandel berührt die Caritas im Innersten ihrer Aufgabe als Anwältin, Dienstleisterin und Solidaritätsstifterin, habe ich im ersten Beitrag meiner Serie formuliert. Das Thema, so mein Postulat, muss Chefsache werden, da wir es mit einem fundamentalen Umbruch unserer Gesellschaft zu tun haben, der mit der Industriellen Revolution vergleichbar ist.
In diesem Beitrag gehe ich mit einigen schlaglichtartigen Gedanken der Frage nach, wie der Digitale Wandel unsere Arbeit als Dienstleisterin berührt.

Der Bereich der Pflege ist vermutlich das Arbeitsfeld, das als erstes und am stärksten vom Digitalen Wandel berührt werden wird. Viele Pflegedienste betreiben bereits seit langem eine computer-gestützte und internetbasierte Arbeitsorganisation.
Die Krankenhäuser lasse ich hier einmal außen vor – hier hat sich z. B. in den Bereichen der Telemedizin in den letzten Jahren bereits erhebliches getan, die aus dem Boden schießenden eHealth-Projekte vieler Hochschulen usw. sprechen für sich.


Der Roboter, mein Freund und (Pflege-)Helfer …

Es geht aber um mehr als digitalisierte Dokumentation. Ein Stichwort ist AAL (Ambient Assisted Living). Dabei geht es um Technik, Konzepte und Dienstleistungen, die das alltägliche Leben vor allem älterer Menschen unterstützen. Ein prägnantes Beispiel für den Einsatz von AAL ist bei ARTE zu sehen.

An AAL werden wir aus verschiedenen Gründen nicht vorbeikommen: Der Wunsch vieler Menschen nach einem möglichst langem, so weit wie möglich selbstständigem Leben im selbstgewählten Wohnumfeld ist im Sinne von Befähigung, Teilhabe und Inklusion unbedingt unterstützenswert.
Hinzu kommt der Fachkräftemangel, den wir bereits jetzt in der Pflege spüren und der voraussichtlich größer werden wird: Gerade im ländlichen Raum werden wir uns darauf einstellen müssen, dass nicht mehr alle Pflege- und Dienstleistungen erbracht werden können. Der demografische Wandel und die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Menschen wird diese Situation verschärfen.
AAL kann helfen, zugleich dem Wunsch und dem Zwang gerecht zu werden.


… oder der Fremde unter meinem Dach?

Roboter in der Pflege? CC LizenZ: University of Salford Press Office

Roboter in der Pflege?
CC LizenZ: University of Salford Press Office

Die Herausforderungen, die damit verbunden sind, sind groß.
Adelheid von Stösser, 1. Vorsitzende des Pflege-Selbsthilfeverbandes e.V., hat verschiedene Szenarien skizziert. Dabei geht es vornehmlich um den Einsatz von Robotern in der Pflege. Frau von Stösser sieht „nur ganz wenige, einigermaßen sinnvolle Einsatzgebiete für Roboter in der Pflege. Insbesondere könnte ich mir bessere Hilfsmittel zur Entlastung körperlich anstrengender Aufgaben im Zusammenhang mit dem Heben und Tragen von Patient/innen vorstellen.“ Völlig inakzeptabel ist für sie, „dass Roboter serienmäßig zur Beaufsichtigung und Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse von pflegebedürftigen Menschen eingesetzt werden …“, dies „dürfte das das Ende unserer Kultur bedeuten.“
Diese Positionen werden bei den meisten Leser(inne)n vermutlich auf Zustimmung treffen. Frau von Stösser erwähnt allerdings auch eine Heimleitern, die sich selber lieber von einem Roboter als von ständig wechselnden Pflegekräften waschen lassen würde.
Hier wird die intuitive Beurteilung für mich nicht mehr so einfach – persönlich geht es mir so wie der Heimleiterin. Aber: wenn ich mir eine hilfebedürftige Person vorstelle, die alleine lebt, und bei der die Pflege von einer empathischen Person mit ausreichend Zeit vorgenommen würde, dann bin ich mir nicht mehr so sicher …

Es kommen also verschiedene Faktoren ins Spiel: Zuallerst die soziale Situation, dann das ganz individuelle Erleben von Scham oder Akzeptanz, zudem die Frage nach den personellen Ressourcen für die Pflege und nicht zuletzt die persönliche Kompetenz der Pflegekraft. Eine schnelle Antwort in diesem komplexen Geflecht ist kaum zu formulieren.


Überwachung im eigenen Wohnzimmer?

Um einen anderen Themenkomplex zumindest kurz anzureißen: Wie ist es um den Datenschutz und die selbstbestimmte Regulierung der Privatsphäre bestellt? Im oben genannten ARTE-Beitrag wird eine ältere Dame gezeigt, deren Wohnung mit Sensoren überwacht wird. Registrieren die Sensoren ungewohnte Bewegungsmuster, wird bei einem Angehörigen oder beim Pflegedienst Alarm ausgelöst. Diese Technik wird bald auch in Deutschland umfangreicher genutzt werden und für viele ältere Menschen ein Segen sein. Sie bietet Sicherheit auch dann, wenn man alleine lebt.
Aber: Möchten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in Ihrer eigenen Wohnung permanent überwacht sein? Wie kann der Konflikt zwischen Sicherheit und Privatsphäre würdewahrend austariert werden?
Der Osnabrücker Caritasdirektor Franz Loth hat im Zusammenhang mit der Caritas-Kampagne Stadt – Land – Zukunft formuliert, dass sich unsere Arbeit auszeichnet durch „Qualität für die Menschen durch Nähe“. Das ist uneingeschränkt richtig.

Doch verstehen Digital Natives „Nähe“ genauso wie Digital Immigrants oder gar die digital Unbehausten, die sich „nur“ in der analogen Welt zuhause fühlen? Wer mit Skype und WhatsApp groß geworden ist, wird über diese oder ähnliche Kanäle eine emotionale Nähe zu seinen Liebsten entwickeln können, von der sich die früher Geborenen keinen Begriff machen können. Erst recht wird das für Techniken gelten, die auf dem Einsatz von Material basieren, das bisher bei Computerspielen eingesetzt wird. Ich denke an 3-D-Brillen wie Oculus Rift oder an Kleidung, die täuschend echt taktile Erfahrungen vermittelt. Analoge und digitale Welt verschmelzen. Science fiction? Ja: Dort wurde das alles schon mal gedacht. Nein: Es hält Einzug in unsere Alltagswelt, auch wenn man-chem dafür (noch) die Phantasie fehlt.
Es bleibt aber die Frage: Kann diese vermittelte Nähe eine Umarmung oder ein Streicheln ersetzen?

Wie bereiten wir uns, unsere Mitarbeitenden und die zu Pflegenden und ihre Angehörigen auf die Herausforderungen der nahen Zukunft vor? Als eine von vielen möglichen Herangehensweisen will ich ein Osnabrücker Projekt nennen: Die Hochschule Osnabrück, der Landkreis Osnabrück und das Bistum Osnabrück haben das „Living Lab – Wohnen und Pflege“ ins Leben gerufen, um „Innovationen im Bereich Wohnen und Pflege zu entwickeln, die die Wohn- und Lebensbedingungen der Menschen verbessern“. Das Living Lab versteht sich als Plattform, die die verschiedenen Akteure zusammenbringt – auch aus Branchen, die bisher voneinander keine Notiz genommen haben. Dieser Gedanke scheint mir wegweisend zu sein; ich gehe darauf im dritten Teil meiner Miniserie etwas weiter ein.

Wir müssen uns als Dienstleistern diesen und einigen anderen Fragen stellen und dazu eine Haltung gewinnen.
Das wird nicht einfacher, wenn man sich wie bei der Pflege in einem Marktumfeld befindet, das wie z.B. in Niedersachsen unter erheblichem Kostendruck steht.


Wie verändert sich der Markt?

Eine weitere Facette sei angerissen: Wie bereiten wir uns auf die Digitalisierung der Märkte vor, in denen wir im Wettbewerb stehen? Ist es denkbar, dass ein Start-up-Unternehmen den Pflegemarkt so aufrollt wie Uber den Markt der Personenbeförderung oder airbnb das Hotelgewerbe?
Haben wir ausreichend Phantasie, uns auszumalen, wie das aussehen könnte? Wo sind die Vordenker, die Caritas-Start-ups, die das wagen? Wo sind die Risikokapitalgeber, die bereit sind, der Caritas für eine gute Idee hohe Summen zu geben – auch wenn die Umsetzung scheitern kann?
Die deutschen Industrieunternehmen und die dafür zuständigen politischen Akteure wissen die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) an ihrer Seite: „Als Arbeitsakademie berät acatech Politik und Gesellschaft in technikwissenschaftlichen und technologiepolitischen Zukunftsfragen. Darüber hinaus hat es sich acatech zum Ziel gesetzt, den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu unterstützen.“ Auf meine Nachfrage bei acatech, ob „Gesellschaft“ auch die Akteure des 3. Sektors und der Freien Wohlfahrtspflege umfasst, erntete ich zunächst erstauntes Zögern und dann ein höfliches „Nein, das ist nicht unser Auftrag“.
Ich will hier nicht der Frage nachgehen, weshalb der immens wichtige Bereich der Daseinsvorsorge nicht auf dem Schirm dieser Institution (und ihrer Auftraggeber aus dem politischen Raum) ist – verwunderlich ist das jedoch schon.
Wichtiger ist mir die Frage: Wo ist das acatech der Gesundheits- und Sozialwirtschaft?

Roland Knillmann

Roland Knillmann, Pressesprecher für den Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V., sieht bei den Caritas-Mitarbeitenden ein Miteinander der unterschiedlichen Kommunikationskulturen.


Wie verändert sich Caritas als Arbeitgeber?

Eine große Herausforderung, die der Digitale Wandel der Arbeitgeberin Caritas bringt, könnte das Miteinander der unterschiedlichen Kommunikationskulturen werden: Grundhaltungen der Digital Natives unterscheiden sich erheblich von denen der Digital Immigrants. Das betrifft z.B. Wertehal-tungen, die z.B. das Konzept der Privatsphäre bzw. den Umgang mit persönlichen Daten betreffen genauso wie die Bereitschaft oder das Zögern, sich auf neue Technologien einzulassen.
Es mag trivial klingen, dass „permanente Weiterbildung“ die Antwort auf diese Herausforderung ist. Die Umsetzung dürfte alles andere als trivial sein, da es hier um tiefgreifende Haltungsfragen geht, um den Habitus der Mitarbeitenden. Dieser ist nicht einfach durch eine Schulung zu verändern.
Ich überblicke nicht, ob es dazu bereits Ideen oder gar Erfahrungen in Einrichtungen der Caritas gibt – falls ja, ist meine Anregung, diese zu teilen, damit Personalverantwortliche und Träger voneinander lernen können. Welche Facetten allein bei dieser Frage ins Spiel kommen, macht ein Blick auf die Angebote der Clearingstelle medienkompetenz.katholisch.de deutlich (ich danke Kai Mennigmann für diesen Hinweis). Hier kann man zugleich Anregungen für die eigene Weiterbildungspraxis finden.

Weitere Aspekte, die die Caritas (und andere Akteure der Sozialwirtschaft) betreffen, spricht u.a. Hendrik Epe in seinem bereits erwähnten und lesenswerten Beitrag an – ich will das hier nicht wiederholen.

Meine Aufzählung nennt Beispiele und lädt zur Ergänzung (gerade auch aus weiteren Arbeitsfeldern!) und zur Diskussion ein. Wo gibt es Erfahrungen und veränderte Dienstleistungen? Gibt es Entwicklungen – in Planung oder in der Umsetzung?
Wir können die Zukunft mitgestalten, wenn wir unsere Erfahrungen bündeln, Wissen teilen und Fehler so kommunizieren, dass sie eine Lernchance sind.

Die Herausforderungen sind groß, das Spektrum der Fragen ist enorm. Sabine Depew hat angesichts dieser Herkulesaufgabe mit guten Gründen gefordert, einen „Club of Rome“ zu konstituieren. Die Dimension und die Fremdheit der Aufgabe mögen den einen oder die andere verschrecken. Lasst uns trotzdem beginnen.

Im dritten und letzten Beitrag geht es um die Frage, wie der Digitale Wandel die Caritas als Solidaritätsstifterin betrifft.

Roland Knillmann – Der Autor ist Pressesprecher für den Caritasverband für die Diözese Osnabrück e. V.

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