Caritas-Sozialarbeiterin Editha Kunzke-Mayer aus Finsterwalde hat in einem Jobtausch für das ZDF-Format „Takeover“ mit dem Geschäftsführer einer Unternehmensberatung neue Perspektiven gewonnen: Über Inspiration, Mut und Lego Serious Play.
Wir haben uns ausführlich mit Editha über das “Ausprobieren”, über Mut und neue Perspektiven unterhalten. Was hat sich für sie verändert? Welche Einsichten hat sie durch diese außergewöhnliche Form der Jobrotation gewonnen? Wie verändert sich der Blick auf die eigene Profession durch diesen radikalen Perspektivwechsel? Eine Geschichte jenseits einfacher Gegenüberstellungen, mit viel Sympathie und Respekt für Editha 🙂
Als Sozialarbeiterin bei der Caritas Finsterwalde stehen Editha und ihre Kolleg*innen täglich vor vielen (zwischen-)menschlichen Herausforderungen und Schicksalen. Die Anfrage einer Produktionsgesellschaft für das ZDF-Format “Takeover” stellte sie vor eine völlig andere Aufgabe: Sie sollte, begleitet vom Drehteam, mehrere Tage die Führung einer Innovationsberatung in Wiesbaden zu übernehmen. Anstatt sich von Zweifeln, Kritik oder möglichem Scheitern einschüchtern zu lassen, empfindet sie direkt Lust: Lust auf Neues, auf Lernen und wird von einer starken Neugier angetrieben. Editha erkennt die Chance, die Caritas und ihre tägliche Arbeit als Sozialarbeiterin medienwirksam zu präsentieren und das Potenzial, etablierte Vorstellungen von sozialer Arbeit neu zu definieren. In der Dokumentation, die in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, wird folglich nicht nur ein faszinierender Kulturschock dargestellt, sondern auch eine Begegnung zweier Welten, die normalerweise selten miteinander in Berührung kommen.

Fangen wir mit dem Kulturschock an…
Der Kulturschock ist unmittelbar spürbar. Wo Editha bisher als Caritas-Sozialarbeiterin mit begrenzten Ressourcen kreative Lösungen für Menschen in Not finden musste, betrat sie nun eine Welt von Strategie-Meetings, Vision Boards und kostspielige Workshops mit LEGO Serious Play. “Was hier als kreative Prozesse gilt, erscheint mir wie reine Luxuswelt”, gestand Editha nach ihrem ersten Tag. Die Kontraste hätten kaum schärfer sein können: Hier das präzise durchgetaktete Unternehmensumfeld der Beratungsfirma mit Business-Begriffen, dort ihre alltägliche Realität bei der Caritas, geprägt von menschlichen Begegnungen, sozialer Beratung und Hilfsangeboten. “Der Kontrast liegt weniger in der Oberflächlichkeit versus Tiefe, sondern in den strukturellen Voraussetzungen”, reflektiert Editha. “Entscheidungswege, Ressourcenverfügbarkeit, Zielkriterien – all das folgt anderen Logiken. In meinem Arbeitskontext muss eine Entscheidung durch mehrere Ebenen genehmigt werden. Dort waren die Wege erheblich kürzer.”
Spielen im Job – neue Methoden für neue Ideen
Diese Unterschiedlichkeit manifestierte sich konkret in der Anwendung von Methoden wie LEGO Serious Play – ein Ansatz, der in der sozialen Arbeit selten eingesetzt wird, obwohl seine Potenziale jenseits von Sprache gerade dort wertvoll sein könnten. Und genau hier fing die zentrale Herausforderung für Editha an! Nach nur wenigen Stunden Einführung sollte sie selbst einen LEGO Serious Play Workshop für Führungskräfte moderieren: “Ich hatte zwei, drei Stunden Einführung – dann sollte ich direkt interpretieren, moderieren, anleiten. Klar war ich unsicher. Aber ich wusste: Mehr als scheitern kann ich nicht.” Was auf den ersten Blick verspielt wirkt, entpuppte sich als tiefgründige Methode: In LEGO Serious Play erschaffen Teilnehmende mit den Händen Modelle, die ihre Gedanken, Gefühle und Ideen symbolisieren. “Die Methode schafft Räume, in denen Menschen ihre Gedanken anders strukturieren können. Man darf viel mehr Kind sein, als man es sich erlaubt”, sagt Editha. “Und plötzlich ist da nicht nur Schwarz-Weiß. Plötzlich wird es bunt.”
Ihre Nervosität vor Beginn der Aufgabe war sehr groß: “Ich habe die ganze Nacht kaum geschlafen”, berichtete sie, “aber dann merkte ich, dass auch hier letztlich Menschen mit Menschen reden – nur die Sprache ist eine andere.” Was ihr half? “Ich habe mich entschieden, mich nicht unter Druck zu setzen. Ich habe die Dinge auf mich zukommen lassen.”
Menschlichkeit trifft Marktdenken
Im Laufe des Experiments kristallisierte sich für Editha eine zentrale Frage heraus: “In meiner Arbeit bei der Caritas geht es um Existenzen, um grundlegende menschliche Bedürfnisse. Bei dem Beratungsunternehmen dreht sich hingegen vieles um Optimierung, Marktanteile und Gewinnmargen.” Besonders aufschlussreich waren die Gespräche mit David, dem Geschäftsführer des Unternehmens. Während Editha stets den Menschen in den Mittelpunkt stellte, betonte David auch die wirtschaftlichen Notwendigkeiten. “Wir sprechen unterschiedliche Sprachen, aber wir verfolgen ähnliche Ziele”, erkannte Editha. “Beide Welten wollen letztlich etwas bewirken – nur die Wege dahin unterscheiden sich fundamental.”

In einer Teamdiskussion in der Beratungsfirma stellte Editha dann die für sie zentrale Frage: “Inwiefern verbessert dieser Ansatz die konkrete Situation der Menschen, für die wir arbeiten?” Diese sozialarbeiterische Perspektive erzeugte im Unternehmenskontext eine Irritation. “Es entstand ein Moment des Innehaltens, in dem abstrakte Prozessoptimierungen wieder mit konkreten menschlichen Bedürfnissen verknüpft wurden.”
“Wir sind genauso Macher*innen – nur auf unsere Art.”
Trotz aller Unterschiede entdeckt Editha auch überraschende Parallelen: “Bei uns sind Leute mit genauso viel Herzblut dabei. Nur eben auf unsere sozialarbeiterische Art.” Beide Seiten teilen den Wunsch, Dinge zu verändern, Wirksamkeit zu entfalten, etwas Sinnvolles zu tun – auch über die Uhrzeit hinaus. Editha findet: “Es gibt hier durchaus Raum für soziales Denken, man muss ihn nur aktiv schaffen und verteidigen.” David wiederum zeigt sich in der Dokumentation beeindruckt von Edithas direkter, menschenzentrierter Herangehensweise und ihrem unbedingten Fokus auf die Menschen.

Was bleibt: Mut, Steine und viele neue Erkenntnisse
Die Erfahrungen wirken nach. In Finsterwalde wurde bereits ein LEGO Serious Play-Workshop mit Ehrenamtlichen durchgeführt, ein nächstes Inhouse-Training ist in Planung, erzählt Editha uns. Die bunten Steine haben ihren Weg in Edithas Beratungsalltag gefunden: “Ich habe schon ein paar Mal einfach ein kleines Säckchen Legosteine auf den Tisch gekippt. Das bringt Bewegung in das Gespräch – und auch mich selbst beruhigt es, etwas mit den Händen zu machen.” Wenn Worte fehlen, entstehen Bilder. Das Bauen wird zur Geste der Gestaltung, zur Einladung, wieder selbst zu handeln – besonders wichtig bei Themen, bei denen sich Hilfesuchende oft ohnmächtig fühlen, denn: “Die Methode selbst ist kontextneutral”, erklärt sie uns. “Entscheidend ist die Frage, welche Ziele damit verfolgt werden. Bei uns geht es nicht um Unternehmensstrategien, sondern um die Visualisierung komplexer sozialer Dynamiken und um Empowerment durch Gestaltungsprozesse.” Ihre persönliche Veränderung beschreibt sie ebenfalls: “Mein Entscheidungsverhalten hat sich tatsächlich verändert. Ich treffe heute schneller Entscheidungen. Ich warte weniger ab. Ich sag: Wir probieren das jetzt einfach.”
Mut beginnt mit Sichtbarkeit – gerade bei der Caritas
“Ich glaube, wir tun alle richtig tollen Dinge – aber wir sind noch nicht mutig genug, darüber zu reden”, sagt Editha in einem persönlichen Moment. “Ich hätte am Tag der Ausstrahlung Sekt kaltstellen sollen. Wir hätten das richtig feiern sollen – statt jeder still für sich den Fernseher anzumachen!”
Gefragt nach ihren drei Wünschen für Veränderung in ihrem persönlichen Caritas-Joballtag als Sozialarbeiterin antwortet sie:
- Mut für schnelle, mutige Entscheidungen, auch wenn sie ein Risiko enthalten.
- Hospitationen und Perspektivwechsel seien besonders relevant und sollten gefördert werden, um Kolleg*innen wirklich zu verstehen und gemeinsam mehr bewirken zu können.
- Mehr Selbstbewusstsein in der Außendarstellung: “Dass wir stark genug sind, gut über uns zu erzählen.”
Fazit: Brücken zwischen den Welten
Das Experiment verdeutlicht, wie unterschiedlich Lebensrealitäten in unserer Gesellschaft sein können und wie selten ein echter Austausch stattfindet. Dennoch zeigt es: Ein Dialog ist möglich, wenn beide Seiten bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen und die Perspektive des anderen wirklich zu verstehen. “Ich nehme mit, dass wir in der sozialen Arbeit durchaus von strukturierteren Prozessen profitieren könnten”, reflektierte Editha. Und die Wirtschaft brauche mehr von diesem unbedingten Fokus auf den Menschen, den Sozialarbeiter so selbstverständlich einbringen.
Das Fazit des Experiments reicht weit über die persönlichen Erfahrungen hinaus: Es geht nicht um bunte Steine – sondern um das, was sie auslösen können: Bewegung, Ausdruck, Kreativität. Und um eine Haltung, die den Mut zum Scheitern ebenso zulässt wie den Mut zur Veränderung. Oder wie Editha es auf den Punkt bringt: “Auch wenn es schlechte Presse wäre – es ist Sichtbarkeit. Und das braucht es!”
Zu der Dokumentation auf YouTube geht es hier:
Stephanie Agethen // Johanna Kötter