UX-Test: Was passiert, wenn man Nutzern beim Surfen über die Schulter schaut

Schlechte Webseiten kennt jeder. Die Navigation zu überladen, die Menüpunkte unverständlich, das Bestellformular nicht fürs Handy optimiert … Genügend Gründe, sich gehörig aufzuregen – oder einfach das Browserfenster zu schließen. Beim Umbau des Internetauftritts von Caritas-international.de wollten wir solche Fehler vermeiden. Daher haben wir die Interessen der Nutzer(innen) ins Zentrum gestellt und uns auf die Suche nach der „optimalen User-Experience“ begeben.

Per Live-Stream dem Nutzern beim Surfen über die Schulter geschaut: So hat CI seine Webinhalte optimiert.       Foto: Marc Boos

Zu Beginn des Prozesses definierten wir Personengruppen, die wir vorrangig mit unserem Auftritt erreichen wollen. Nach der Persona-Methode entwickelten wir Profile für fiktive Vertreter(innen) dieser Gruppen. Mit ihren Bedürfnissen, Einstellungen und Interessen standen sie uns bei der Entwicklung von Modulen und Inhalten sowie bei der Strukturierung des Auftritts virtuell zur Seite. Auch bei der Modellierung unseres Online-Spendenprozesses definierten wir aus Sicht unserer Personas einige Eckpunkte:

  • Erwartung: „Ich will auch mit dem Smartphone bequem spenden können.“
    Wir optimieren das Spendenformular durch ein responsives Design für die mobile Nutzung.
  • „Ich erwarte beim Spenden dieselben Bezahlmöglichkeiten wie beim Online-Shopping.“
    Wir binden neben SEPA-Lastschrift auch Kreditkarte, PayPal und Sofortüberweisung ein.
  • „Ich will für die beschriebenen Projekte spenden können.“
    Wir sorgen dafür, dass das Spendenformular von den Projektseiten und anderen Unterseiten mit einem Klick erreichbar ist.
  • „Ich will wissen, wofür ich spenden soll.“
    Wir priorisieren grafisch und redaktionell Spendenmöglichkeiten, indem wir eine Signalfarbe für alle spendenrelevante Elemente einführen und erklären, was wir mit welcher Summe erreichen können.

UX-Test mit sechs Probanden

Vier Monate vor dem online gehen, als die meisten Elemente bereits programmiert waren, machten wir den Realitätscheck. Im standardisierten Verfahren eines UX-Tests (User Experience Test) ließen wir drei Männer und drei Frauen unseren Testauftritt prüfen. Die Proband(inn)en wurden entsprechend den Beschreibungen unserer Personas ausgesucht und sollten ihre Eindrücke beim Surfen schildern. Sie saßen in einem Labor des Dienstleisters eparo in Hamburg und wurden bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben gefilmt. Der Livestream wurde nach Freiburg zu Caritas international übertragen, wo die Verantwortlichen für Marketing, Redaktion und Programmierung verfolgten, wie die Probanden mit den neu entwickelten Modulen umgingen. Dabei waren nicht nur deren Kommentare („Laut denken“) wichtig, sondern auch, wohin sie auf dem Bildschirm oder Smartphone blickten (Eyetracking, visualisiert durch eine spezielle Kamera) und wo sie klickten (User-Flow).

Ein Feature der Webseite fällt völlig durch

Wie wichtig die User-Tests waren, zeigte sich zum Beispiel daran, dass die speziell entwickelte Spendenlasche, die in der Desktop-Darstellung am rechten oberen Rand des Bildschirms fixiert war, bei den Proband(inn)en komplett durchfiel. Trotz der ebenfalls neu eingeführten Signalfarbe war sie keinem aufgefallen. Erst die Hinweise des eparo-Mitarbeiters, der die Proband(inn)en in Hamburg anleitete, brachten sie auf die Idee, die Lasche zu öffnen. Die darin integrierte Schnellspende-Möglichkeit kam durchweg gut an. Allerdings erwarteten die Probanden, dass die Lasche kontextsensitiv sei und die Spende direkt in das von ihnen angeschaute Projekt fließen würde. Doch so war die Lasche nicht programmiert.

Nächste Herausforderung: Learnings aus dem UX-Test umsetzen

Auch beim Spendenformular gab es unerwartete Reaktionen. Die älteren Probanden sahen nur die als Buttons gestalteten, vordefinierten Euro-Werte und erkannten nicht, dass man auch individuelle Beträge eingeben konnte. Negativ bewerteten die Probanden, dass sie den Spendenzweck noch ändern konnten, obwohl sie von einem konkreten Spendenprojekt in das Spendenformular gesprungen waren: „Als ob die mich zu was anderem verleiten wollen.“

Ohne Auswertung und Fehleranalyse, kein gutes Ergebnis         Foto: Marc Boos

Bei der Auswertung des UX-Tests am zweiten Tag sammelten wir die wiederkehrenden Aussagen, gruppierten und priorisierten die Rückmeldungen und identifizierten Quick-Wins. Dies führte unter anderem dazu, dass wir die Gestaltung und den Text des Spendenformulars überarbeiteten und nach einer Lösung suchten, wie wir die Spendenlasche auffälliger einbinden können.

Fazit: Wer bereit ist, sich ehrliche Rückmeldungen von seinen Zielgruppen einzuholen, sollte einen UX-Test machen. Der hohe Aufwand dieser qualitativen Nutzertests lohnt, denn „in echt“ fühlt sich ein Webauftritt anders an, als ihn sich die Entwickler ausgedacht, die Grafiker gestaltet und die Redakteure befüllt haben. Ein älterer Proband meinte zu unseren Seiten: „Das ist alles zu viel Text. Das macht mich wuschig.“ Danke für diese Rückmeldung!


Der Autor
Marc Boos ist im Kommunikationsteam von Caritas international für das Online-Marketing zuständig. Zuvor war er beim Deutschen Caritasverband als Online-Redakteur u.a. für Social-Media, die Webseite caritas.de und das Blog caritas-digital.de zuständig. Kontakt: marc.boos@caritas.de

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