Wie können wir, wie kann die Politik den Sozialstaat auch digital so ausgestalten, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu dessen Leistungen und Angeboten haben? Das ist eine Frage, die uns als Deutscher Caritasverband (DCV) schon länger beschäftigt und zu der wir nun unsere Positionen aktualisiert haben.
Die Vorgeschichte des Papiers
Unsere zentralen Gedanken zum Thema Digitalisierung des Sozialstaats haben wir schon Ende 2023 in einem Positionspapier “Digitale Zukunft gestalten: Mehr Teilhabe für alle” angerissen. Unsere zentralen Forderung in diesem Papier, die wir in diesem Blogbeitrag ausführlich erläutert haben, lauten:
- Digitale Teilhabe für alle ermöglichen
- Selbstbestimmter Umgang mit Daten und gemeinwohlorientierte Nutzung von Daten
- KI-Einsatz im Sozialen fördern, Diskriminierung wirksam verhindern
- Online und offline leichter Zugang zu Leistungen der Daseinsvorsorge (mehrkanalfähige Verwaltung)
- Wohlfahrtsverbände als Träger sozialer Infrastrukturen zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts für die digitale Gesellschaft befähigen und ausstatten
In einer Kooperation mit der Agora Digitale Transformation haben wir nun Erkenntnisse vertieft und darauf aufbauend unsere Positionen weiterentwickelt. Um tiefergehende Erkenntnisse zu gewinnen, wertete die Agora Digitale Transformation mehrere Studien aus und führte Interviews mit zahlreichen Praktiker:innen in Wohlfahrtsverbänden, in der Verwaltung und in Arbeitsämtern. Anschließend fasste die Agora Digitale Transformation die Ergebnisse in einem Whitepaper mit dem Titel “Den digitalen Sozialstaat nutzendenorientiert gestalten” zusammen, das am 15.10.2024 veröffentlicht wurde.
Ein (digitaler) Sozialstaat für alle
Dem Deutschen Caritasverband ist es wichtig, die sozialstaatlichen Aspekte der digitalen Transformation besonders hervorzuheben. Wir sehen die digitale Transformation als eine Chance, soziale Gerechtigkeit zu fördern und die Teilhabe benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu stärken. Gleichzeitig muss zur Vorsicht gemahnt werden: Die Digitalisierung allein wird die bestehenden Probleme des Zugangs zu Sozialleistungen nicht lösen. Sie muss von einem gezielten Wandel begleitet werden, der die Bedürfnisse der Leistungsberechtigten ins Zentrum rückt und digitale Exklusion vermeidet und damit Menschen in prekären Lebenslagen nicht ausschließt. Ohne eine aktive Steuerung des Wandels könnte die Digitalisierung bereits bestehende Benachteiligungen sogar negativ verstärken.
Was steht in dem neuen Papier?
Auch das neue Papier legt den Fokus auf die Leistungsberechtigten. Es adressiert zentrale Herausforderungen der digitalen Transformation im Bereich der sozialen Sicherung und fordert einen sozialstaatlichen Wandel, der sich an den Bedürfnissen der Bürger:innen orientiert, um soziale gerechte Teilhabe für alle zu ermöglichen.
Im Papier werden vier Handlungsfelder identifiziert:
Handlungsfeld 1 | Ein barrierefreier, einheitlicher Zugang zu Sozialleistungen ist notwendig, um den Zugang für alle Bürger:innen zu ermöglichen. Digitale Anwendungen müssen nutzendenfreundlich gestaltet sein, um soziale Exklusion zu verhindern – dabei bleiben auch analoge Alternativen wichtig. |
Handlungsfeld 2 | Automatisierung und Digitalisierung von Bearbeitungsprozessen können diese beschleunigen, das Personal entlasten und Effizienz erhöhen. |
Handlungsfeld 3 | Verwaltung sollte vorhandene Daten besser nutzen, um den Nachweisaufwand für Leistungsberechtigte zu minimieren und potenziell antragslose Verfahren zu ermöglichen. |
Handlungsfeld 4 | Das Sozialleistungssystem sollte digitalisierungstauglich und nutzendenorientiert umgebaut werden, um die Potenziale der Digitalisierung tatsächlich voll zugunsten der Leistungsberechtigten nutzbar zu machen. |
Wie weiter?
Durch Verbesserungen in diesen vier Handlungsfeldern kann ein nutzendenorientierter Sozialstaat erreicht werden. Den größte Hebel hin zu positiver Veränderung stellt eine umfassende Strukturreform des aktuellen fragmentierten und komplizierten Sozialleistungssystems dar. Das Papier formuliert aber auch Ansatzpunkte für Verbesserungen in den übrigen Bereichen, deren Umsetzung ambitioniert, aber gleichzeitig auch machbarer erscheinen.
Wie geht es nun für uns als Deutscher Caritasverband im Themenbereich Digitalpolitik weiter? Wir wollen zukünftig mit Nachdruck die dargestellten Positionen in die politische Debatte einbringen. Außerdem werden wir auch mit praktischen Vorhaben an der Gestaltung eines sozial-gerechten und nutzendenorientierten digitalen Sozialstaats arbeiten. Dabei freuen wir uns jederzeit über Hinweise und Feedback zu unseren Positionen und darüber, wie eine digitale Transformation des Sozialstaats im Sinne aller gelingen kann. Denn für uns ist klar: Eine solche nachhaltige und menschenzentrierte digitale Transformation kann nur gelingen, wenn alle Interessen und Ansichten ihre angemessen Berücksichtigung finden.