So sehr digitale Teilhabe eine Aufgabe ist, so sehr auch neue Hürden durch digitale Medien entstehen können – so sehr bieten digitale Medien Möglichkeiten, dass mehr Menschen ihr Leben selbst gestalten und am gesellschaftlichen Leben beteiligt sind. Daher haben wir im Februar 2024 unsere digitalpolitischen Positionen mit fünf Forderungen veröffentlicht:
Digitale Zukunft gestalten: Mehr Teilhabe für alle
- Digitale Teilhabe für alle ermöglichen
- Selbstbestimmter Umgang mit Daten und gemeinwohlorientierte Nutzung von Daten
- KI-Einsatz im Sozialen fördern, Diskriminierung wirksam verhindern
- Online und offline leichter Zugang zu Leistungen der Daseinsvorsorge (mehrkanalfähige Verwaltung)
- Wohlfahrtsverbände als Träger sozialer Infrastrukturen zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts für die digitale Gesellschaft befähigen und ausstatten
Zentral dabei ist der Begriff der „Digitalen Teilhabe“. Was verstehen wir darunter?
Digitale Ungleichheit kommt oft durch soziale Ungleichheit
„Loggen Sie sich bei unserem digitalen Angebot hier mit ihrem Facebook-Konto ein,
bestätigen Sie ihre Identität dort mit Ihrem digitalen Personalausweis,
verknüpfen Sie dort Ihre Profil-Informationen – und der Rest geht dann ganz von alleine.“
Diese Versprechungen digitaler Dienste, auch staatlicher Dienste, nehmen wir dankend an.
Aber in Deutschland fühlen sich 85 Prozent ausreichend digital kompetent und motiviert, 15 Prozent “Vermeider:innen” fühlen sich digital nicht wohl. Das sind mehrere Millionen Menschen!
Von den digitalen Versprechungen profitieren diese Menschen nicht: Der Verwaltungsakt bleibt komplex, die Menschen geben auf – und kommen nicht an die Leistungen, die ihnen zustehen (vgl. Moerland/Hofmann in der neuen caritas).
Leider sind es gerade ältere, Menschen mit wenig Bildungsabschlüssen, mit Migrationshintergrund oder in Geldnot, die diese Gruppe bilden.
Andere sind digital höchst affin, sie wissen genau, wie eine Überschrift 2. Grades in HTML funktioniert – weil sie blind sind und das nämlich für ihren Screenreader brauchen. Wenn Websites aber schlecht gemacht sind, dann kommt ihr Screenreader ins Schleudern, sie kommen nicht an die Information – und können nicht teilhaben.
Die Beispiele zeigen:
Wer es ohnehin schon schwerer hat oder finanziell schlecht ausgestattet ist, hat auch schwereren Zugang zu den digitalen Orten der Gesellschaft. Gesellschaftliche Ungleichheit schlägt sich in digitaler Ungleichheit nieder und umgekehrt.
Die Beispiele lassen sich aber auch positiv lesen:
Wenn der Screenreader funktioniert, wenn in der Verwaltung analoge Zugänge und digitale Prozesse verbunden und gut gestaltet sind, dann hilft Digitalisierung, bestehende Hindernisse zu überwinden.
Drei Aspekte digitaler Teilhabe
Unter digitaler Teilhabe versteht die Caritas also (ausführlicher dazu das AWO-Projekt DigiTeilhabe)
- Teilhabe an digitalen Medien (d.h. ausreichend Ausstattung, Datenvolumen, Kenntnisse)
- Teilhabe durch digitale Medien (z.B. durch einfacheren Zugriff auf Informationen, besserer Zugang zu Leistungen, Assistive Technologien)
- Teilhabe in digitalen Medien (Sichtbarkeit und Mitgestaltung) –
- Menschen müssen die digitale Welt mitgestalten können: das geht über “Nutzerzentrierung” hinaus, so wichtig sie ist. Es geht auch darum, dass man mitbestimmen kann, nach welchen Regeln mein newsfeed gestaltet wird. Dass content moderation transparent ist und einer Kontrolle unterliegt. Oder sogar, dass ich nicht an ein Soziales Netzwerk gebunden bin, weil ich meine Kontakte (den “social graph”) mitnehmen kann.
- Menschen dürfen auch online nicht in Hass und Ausgrenzung untergehen. Das ist leider weiterhin viel zu oft der Fall. Ganz bewusst ist die aktuelle Caritas-Kampagne #FriedeBeginnt Bei Mir auch für die sozialen Medien gemeint.
Was tut die Caritas da konkret für mehr Teilhabe?
- Der Bürgergeld-Rechner bietet anonym und unverbindlich Aufklärung dazu, welche Leistungen mir zustehen. Das kann ein erster Schritt sein, die notwendige Ausstattung zu sichern. Wegen vieler Folgeanfragen gibt es hier großes Interesse, mit Chatbots zu experimentieren.
- Die Online-Beratung der Caritas erreicht auch Menschen, die weiter weg von einer Beatungsstelle wohnen und z.B. nicht gut mobil sind.
- Die digital ausgestattete Bahnhofsmission connect@station bietet Strom, WLAN und Unterstützung für Menschen, denen das fehlt, um online dabei zu sein.
Werkzeuge wie der Online-Rechner, die Beratungsplattform oder spezifische Chatbots werden vom Staat viel weniger intensiv gefördert als in der gewinnorientierten Wirtschaft (Bsp. Mittelstandsförderung). Und auch ihr Einsatz wird oftmals noch nicht als soziale Arbeit anerkannt und damit nicht refinanziert.
Leider wird die Wohlfahrtspflege und Sozialwirtschaft hier noch nicht als innovative und treibende Kraft für eine digitale Gesellschaft gesehen.
Mit unseren politischen Einwürfen wollen wir dafür die Strukturen ändern – und mit unseren Angeboten und Diensten schon heute dafür sorgen, dass alle Menschen die Möglichkeiten digitaler Medien nutzen können.