Können Nichtregierungsorganisationen soziale Netzwerke wie Facebook bedenkenlos für Werbeanzeigen bezahlen? Im Zuge der 30. NPO-Blogparade haben wir uns dazu Gedanken gemacht – und feststellen müssen: Vor Facebook sind wir alle gleich.
Für Nonprofit-Organisationen ist ein Auftritt auf Facebook obligatorisch. Das Ziel: Möglichst viele Menschen sollen zur Interaktion mit veröffentlichten Inhalten gebracht werden. Die Voraussetzungen hierfür scheinen auf den ersten Blick extrem fair. Das Betreiben einer Facebook-Seite: gratis. Das Werbeanzeigenmanager-Tool: gratis. Targeting und die Analysetools darf jeder unentgeltlich nutzen, der eine Seite auf Facebook betreibt, egal ob Verein, Behörde, Partei oder multinationaler Konzern. Auch das Veröffentlichen sämtlicher Inhalte (Video, Foto, Text- oder Linkposts) kostet – genau – nichts. De facto kann jede Facebook-Seite organischen Traffic und Wachstum erzeugen, ohne dass man dafür einen müden Euro investieren muss. Die ganze Sache hat aber einen Haken: die eigene Filterblase.
Dieser Artikel ist gleichzeitig Beitrag zur 30. NPO-Blogparade, bei der Caritas-Digital und Nonprofits-Vernetzt fragen, wie Nonprofits sich im zunehmend kommerzialisierten Social Web Gehör verschaffen können.
Unfairer Wettbewerb – oder gleiche Chancen für alle?
Wer mit der Facebook-Seite aus dem eigenen Dunstkreis von Interessierten herauskommen und ein signifikantes Wachstum der Follower-Zahl erreichen will, stößt schnell an die Grenzen des organisch Möglichen. Das trifft besonders Nonprofits, die mit ihrer inhaltlichen Ausrichtung und begrenzten Mitteln für Werbemaßnahmen kaum eine Chance haben, mit den Big-Playern zu konkurrieren. Facebook macht in Sachen Visibility (also der Sichtbarkeit von veröffentlichten Inhalten im Newsfeed der User) keinen (!) Unterschied zwischen Coca-Cola und Caritas. Ein Inhalt wird vom Algorithmus als relevant eingestuft, wenn er Interaktionen hervorruft und sich verbreitet – da hat es ein Werbeclip mit leicht bekleideten Frauen und Männern, die eiskalte koffeinhaltige Erfrischungsgetränke schlürfen, deutlich leichter als die Caritas mit ihrer Forderung nach mehr Gerechtigkeit in der Sozialpolitik.
Um dennoch eine größere Reichweite zu generieren, müssen eigene Inhalte extrem zugespitzt oder provokant aufbereitet werden. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Facebook-Video 8 Tipps gegen rechte Parolen, mit dem wir im März 2017 organisch mehr als 500.000 Personen erreichten. Für eine regelmäßige Aufarbeitung relevanter Inhalte in diesem Stil fehlen den meisten Nonprofits (auch uns) sowohl die nötigen Ressourcen als auch passende Inhalte. Außerdem müssen wir uns die Frage stellen: Wollen wir nur noch die Dinge in unser Schaufenster stellen, die möglichst provokant, „likeable“ oder „shareable“ sind?
Wenn im Bus jemand den „Neger” vor dir beschimpft, deine Kollegin vor der „Islamisierung des Abendlandes” warnt und dein Onkel über Sozialschmarotzer wettert, wird es Zeit zu reagieren. Wir zeigen dir wie! http://bit.ly/gegenhetze
Posted by Caritas Deutschland on Dienstag, 28. März 2017
Google zeigt: Es geht auch anders
Dass es anders geht, zeigt der Suchmaschinen-Gigant Google. Mit dem Google-Ad-Grants-Modell erhalten gemeinnützige Organisationen pro Monat den Gegenwert von 10.000 US-Dollar in Form von kostenloser AdWords-Werbung. Auf der Videoplattform YouTube bietet Google NGOs eine kostenlose, erweiterte Version mit Call-to-Action-Overlays und Logo-Einblendung an – was sonst nur der zahlenden Kundschaft zur Verfügung steht. Und mit Google-Apps für gemeinnützige Organisationen stellt das Unternehmen ein großes Paket von IT-Verwaltungstools gratis zur Verfügung. So gewährt Google Nonprofits einen „Wettbewerbsvorteil“, um sich im Kampf um die Gunst der User mit rein auf Profit ausgerichteten Konzernen und ihren Super-Budgets für SEO und Werbung zu messen.
All das bietet Facebook (bislang) nicht. Wer sich nicht an die Spielregeln des Algorithmus hält oder (Netz-)Promis als Social Influencer zur Unterstützung bezahlt, hat kaum eine Chance, in die Timeline der (eigenen) Benutzer vorzudringen. Oder vielleicht doch? An dieser Stelle greift nämlich Facebooks eigentliches Geschäftsmodell: der Verkauf von Werbeanzeigen, sogenannten Facebook-Ads.
Ads auf Facebook: Mehr Geld = mehr Reichweite = mehr Interaktion
Auch für Werbung gilt: Vor Facebook ist jeder gleich. Wer die Welt besser machen will, objektiv berichtet, ausgewogen recherchiert und auf Seriosität setzt, wird nicht bevorteilt – wer manipulieren und verkaufen will, Halbwahrheiten verbreitet und Blödsinn publiziert – wird nicht bestraft, zumindest bislang. So befeuert das globale Gemeinschaftsportal einen freien, ungebremsten digitalen Kapitalismus – am Ende entscheidet zu großen Teilen das finanzielle Budget über die Verbreitung. Sonderkonditionen erhalten Organisationen, die nachweislich gemeinnützig arbeiten und am Gemeinwohl interessiert sind, nicht.
Was also macht eine NPO wie die Caritas, die sich das Ziel setzt, Menschen dort abzuholen, wo sie sind? Mehr als 650 Millionen Seitenaufrufe pro Monat allein in Deutschland sind ein klares Signal dafür, dass (nach wie vor) viele Deutsche auf Facebook sind: Richtig! Auch der Caritas bleibt nichts anderes übrig. Sie nimmt Geld in die Hand, bezahlt Facebook dafür, mehr Menschen mit besonders wichtigen Inhalten zu erreichen. Etwa 40 Cent kostet beispielsweise derzeit ein neuer Fan. Eine Garantie auf Nachhaltigkeit gibt es nicht – und wenn ein Mitbewerber, beispielsweise AWO oder Diakonie gleichzeitig, oder mit ähnlichen Inhalten für Fans werben, steigt der Preis je Conversion – dem tüchtigen Facebook-Werbeanzeigen-Algorithmus sei Dank – erheblich an.
Wie umgehen mit einem Dienstleister, der keine Steuern zahlt?
Bedenklich – zumindest aus moralischer Sicht – ist der Umgang des Social-Media-Giganten mit Einnahmen aus Werbeanzeigen. Nachweislich zahlt Facebook in Deutschland fast keine Steuern, trägt somit finanziell keine unternehmerische Verantwortung. Grund hierfür ist die sogenannte “Double Irish With a Dutch Sandwich-Strategie”, die auch Apple, Amazon, Microsoft oder Starbucks erfolgreich anwenden. Während jeder Einkauf beim Bäcker unseren Sozialstaat unterstützt (Mehrwertsteuer usw.), drücken sich Facebook und Co. seit Jahren erfolgreich davor, dort Steuern zu zahlen, wo Umsatz generiert wird.
Bei jedem beworbenen Post bleibt ein „Gschmäckle”
Als Social-Media-Manager einer NPO steht man unweigerlich und nahezu täglich vor einem kleinen Dilemma. Der Auftrag der Caritas (auch im Netz) ist klar: Wir wollen christlicher Nächstenliebe in Deutschland eine Stimme geben. Doch was, wenn diese Stimme im Zuge des zunehmenden Wettkampfs um die Aufmerksamkeit der Menschen im Web zusehends verstummt? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es – auch aus Mangel an alternativen Kanälen – nicht. Oder vielleicht doch? Wie geht ihr redaktionell mit Facebook um? Was sind eure Erfahrungen beim Schalten von Werbeanzeigen – und: Welche Strategien wendet ihr an, um der eigenen Filterblase zu entschweben? Über eure Antworten in den Kommentaren und ein anregende Diskussion freuen wir uns.
Der Autor: Martin Herceg arbeitet seit 2016 in der Online-Redaktion des Deutschen Caritasverbandes. Er betreut unter anderem den Facebook- und Twitter-Kanal der Caritas Deutschland mit inhaltlichem Schwerpunkt auf die Themen Flucht, Asyl und Integration. Zuvor war er Volontär und Redakteur bei der Badischen Zeitung in Freiburg sowie beim Online-Magazin fudder.de.
Danke für den Beitrag zu NGOs. Meine Schwester arbeitet als Steuerberaterin für Non-Profit-Organisationen und erzählt manchmal auch so, was erlaubt ist und was nicht. Gut zu wissen, dass man bei Facebook als NGO nichts falsch machen kann.